Es ist in uns instink­tiv ange­legt, dass wir eher suchen, was sich für uns ange­nehm anfühlt und mög­lichst ver­mei­den, was sich für uns unan­ge­nehm anfühlt. Grund­sätz­lich ermög­li­chen uns unse­re Gefüh­le so, unse­re Bedürf­nis­se zu erfül­len. Im Zusam­men­spiel mit unse­ren Gedan­ken nut­zen wir sie, um sinn­vol­le, ver­nünf­ti­ge Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, um unse­re Bedürf­nis­se auch lang­fris­tig und nach­hal­tig erfül­len zu können.

Doch in einer Welt, die so divers und kom­plex ist wie unse­re und in der es nicht mehr nur um rei­nes Über­le­ben und Kampf geht, son­dern wir lie­be­vol­le Bezie­hun­gen leben wol­len, uns leben­dig und erfüllt füh­len und gleich­zei­tig Rück­sicht auf unse­re Mit­welt neh­men wol­len, unse­ren Mit­men­schen, Mit­le­be­we­sen und unse­rer Mit­welt rück­sichts­voll begeg­nen und zu Leben­dig­keit, Hei­lung und Fül­le bei­tra­gen möch­ten, ste­hen wir immer wie­der vor Her­aus­for­de­run­gen, in denen wir erle­ben, dass uns das trotz bes­ter Absich­ten sehr schwerfällt.

Wir über­se­hen dabei oft, wel­che Rol­le unser Bewusst­sein und unse­re Bewusst­heit spielt. Gleich­zei­tig war­tet dadurch noch ein gro­ßes Ent­wick­lungs­po­ten­ti­al in uns und unse­rer Mitwelt!

Ent­ge­gen unse­res Instink­tes ist es heu­te beson­ders wich­tig zu ler­nen, auch mit unan­ge­neh­men Gefüh­len in einem bewuss­ten, anneh­men­den Kon­takt zu sein, unse­re Gedan­ken als sol­che zu erken­nen und Urtei­le und Bewer­tun­gen auf ihre Rich­tig­keit zu über­prü­fen oder bes­ser noch, Mög­lich­kei­ten zu fin­den, uns ver­bin­den­der und bewuss­ter um unse­re Bedürf­nis­se zu küm­mern, um nicht in alten, ver­gan­ge­nen Erfah­run­gen und Mus­tern ste­cken zu bleiben.

Was wir als Wirk­lich­keit erfah­ren, ist eine Kon­struk­ti­on unse­res Gehirns in unse­rem Bewusst­sein. Die­se sub­jek­ti­ve Wirk­lich­keit ist ein Zusam­men­spiel unse­rer Auf­merk­sam­keit mit ver­gan­ge­nen und gegen­wär­ti­gen, bewuss­ten und unbe­wuss­ten Sin­nes­wahr­neh­mun­gen, Gedan­ken und Gefüh­len. Unser Gehirn ist nicht auf eine genaue Erfas­sung und Deu­tung von Wirk­lich­keit opti­miert, auf lie­be­vol­les, rück­sichts­vol­les und nach­hal­ti­ges Mit­ein­an­der, son­dern dar­auf, mög­lichst sicher und ener­gie­spa­rend zu überleben.

Es ist für uns nicht offen­sicht­lich, wie unser Gehirn Wahr­neh­mun­gen deu­tet und bewer­tet und dabei dar­auf auf­baut, wie es das in der Ver­gan­gen­heit gemacht oder von ande­ren über­nom­men hat. Dadurch ist für uns nicht offen­sicht­lich, was die wirk­li­chen Grün­de für unse­re Deu­tun­gen, unser Ver­hal­ten und unser Erle­ben sind.

Wenn wir uns mit unse­ren Gedan­ken und Gefüh­len iden­ti­fi­zie­ren, mit ihnen ver­schmol­zen sind, also kei­nen inne­ren Abstand zu ihnen haben, ist unser Erle­ben durch die­se Gedan­ken und Gefüh­le bestimmt, unser Wir­ken wird von ihnen gelenkt und wir hal­ten die­se Erfah­rung für die Wirk­lich­keit. Wir sind mit unse­rer Auf­merk­sam­keit nach Außen gewandt und mer­ken nicht, wie sehr unse­re Innen­welt unse­re Erfah­run­gen beeinflusst.

Wir kön­nen beson­ders inten­si­ve, unan­ge­neh­me Gefüh­le kaum anneh­mend füh­len und kon­struk­tiv, uns ver­letz­lich zei­gend und die Ver­ant­wor­tung für sie über­neh­mend tei­len, son­dern sind getrie­ben uns selbst oder unse­rer Mit­welt die Schuld für sie zu geben, sie emo­tio­nal und unbe­wusst aus­zu­agie­ren oder zu ver­drän­gen und zu betäu­ben, wodurch sie uns wei­ter unbe­wusst oder unvor­her­ge­se­hen beein­flus­sen. Mit ihnen ver­bun­de­ne Gedan­ken und Hand­lungs­im­pul­se kön­nen wir nur schwer los­las­sen, selbst wenn wir sie sogar schon als wahr­schein­lich nicht wahr oder hilf­reich erken­nen. Es fällt uns schwer zu erken­nen, wie wir selbst mit­ver­ur­sa­chen, dass unse­re Bedürf­nis­se nicht erfüllt wer­den und ver­lan­gen es gleich­zei­tig von unse­rer Mit­welt und sind dabei abhän­gig davon, dass das auf eine bestimm­te Art und Wei­se geschieht. Mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit sind wir uns die­ser Vor­gän­ge nicht ein­mal bewusst, son­dern regen uns vor allem auf und lei­den unter „der Unbe­wusst­heit anderer“.

Wenn sich unser Gehirn auf­grund alter und neu­er Sin­nes­wahr­neh­mun­gen, Gedan­ken und Gefüh­le bedroht fühlt, schal­tet es in einen Sicher­heits­mo­dus, in dem es für uns beson­ders schwie­rig ist, bewusst zu blei­ben, Klar­heit, Gelas­sen­heit, Ver­ständ­nis, Wei­ter­ent­wick­lung, Mit­ge­fühl, Empa­thie und Lie­be zu erfah­ren. Statt­des­sen sind wir in einem Wachsamkeits‑, Angriffs‑, Verteidigungs‑, Flucht oder Erstar­rungs­mo­dus, der unser Erle­ben, Sein und Wir­ken bestimmt und sich auch gegen uns selbst rich­ten kann. Wir sind dar­auf aus­ge­rich­tet, Bestä­ti­gun­gen für Befürch­tun­gen zu fin­den, statt offen und empa­thisch zu beob­ach­ten und in Ver­bin­dung zu gehen und ver­su­chen, die schein­ba­ren Ursa­chen unse­rer unan­ge­neh­men Gefüh­le und Gedan­ken im Außen zu besei­ti­gen, indem wir ver­su­chen, ande­re zu ver­än­dern oder sie zu bekämpfen.

Wir sind eher unru­hig, urtei­lend, aus­gren­zend, rück­wärts­ge­wandt, destruk­tiv und kämp­fend unter­wegs, als gelas­sen, empa­thisch, ver­bin­dend, wei­ter­ent­wi­ckelnd, kon­struk­tiv und friedenschaffend.

Beson­ders wenn wir schwie­ri­ge Erfah­run­gen gemacht haben, nicht gelernt haben, bewusst und acht­sam mit unse­rem Kör­per, unse­ren Gefüh­len, Gedan­ken und Bedürf­nis­sen, dem Hier und Jetzt in Ver­bin­dung zu sein, kön­nen die­se Modi leich­ter und häu­fi­ger aus­ge­löst wer­den oder wir befin­den uns sogar über län­ge­re Zeit oder über­wie­gend dar­in. Es fällt uns schwer, die dabei ablau­fen­den Mus­ter und Ver­hal­tens­wei­sen zu erken­nen und zu verändern.

Unse­rer Mit­welt ergeht es ähn­lich und wir begeg­nen uns immer wie­der auf die­ser Ebene.

Dies führt in allen Berei­chen unse­res Lebens und unse­rer Welt zu Schwie­rig­kei­ten. Beson­ders schmerz­voll kann es in unse­ren engs­ten Bezie­hun­gen wer­den, wo wir eigent­lich beson­ders dar­an inter­es­siert sind, bewusst, lie­be­voll und leben­dig mit­ein­an­der in Ver­bin­dung zu sein, und es uns beson­ders schwer fällt.

 

Wenn wir nicht anneh­mend und bewusst auf Kör­per­ebe­ne mit unse­ren Gefüh­len in Kon­takt sind, kei­ne Klar­heit über unse­re wirk­li­chen Bedürf­nis­se (hin­ter unse­ren Vor­lie­ben und Abnei­gun­gen) haben und mit unse­ren Gedan­ken iden­ti­fi­ziert sind, wenig mit unse­rer Auf­merk­sam­keit gegen­wär­tig im Hier und Jetzt, kön­nen wir ver­mehrt fol­gen­de Erfah­run­gen machen:

 

  • Wir erle­ben Unle­ben­dig­keit, wir neh­men Gefüh­le nicht in ihrer Viel­fäl­tig­keit und Fein­heit wahr
  • … Dumpf­heit, wir brau­chen stär­ke­re Rei­ze, um ange­neh­me Gefüh­le wahr­zu­neh­men oder über­haupt noch etwas zu spüren
  • Wir kön­nen Ruhe und Stil­le kaum aus­hal­ten, ohne etwas dabei zu tun
  • … wir­ken nach außen aus­ge­gli­chen, erfolg­reich und glück­lich, sind aber inner­lich ange­spannt und unglück­lich, mehr Schein als Sein
  • … stren­gen uns sehr dabei an, unse­re Bedürf­nis­se zu erfül­len (oder die ande­rer) und ver­wen­den viel Zeit, Kraft und Ener­gie, um bestimm­te Gefüh­le zu ver­mei­den oder zu suchen
  • … über­schät­zen uns häu­fig oder trau­en uns zu wenig zu
  • … wir­ken nach außen sehr leben­dig, weil wir stän­dig aktiv sind, sind aber von die­sen Akti­vi­tä­ten abhängig
  • … strei­ten uns häu­fig und oft geht es dabei dar­um, Recht zu haben oder es durch­zu­set­zen oder wir strei­ten uns kaum oder gar nicht, obwohl wir mit Ver­hält­nis­sen unzu­frie­den sind
  • Wir sind ein­ge­schränkt in den Mög­lich­kei­ten unse­re Bedürf­nis­se zu erfül­len und unter Druck, dass dies auf eine ganz bestimm­te Wei­se geschieht oder schein­bar bedürfnislos
  • … abhän­gig vom Kon­sum von Waren, Lebens­mit­teln, Dro­gen, Akti­vi­tä­ten, Men­schen, Ableh­nung oder Betäu­bung, um mit unan­ge­neh­men Gefüh­len klar zu kom­men oder ange­neh­me Gefüh­le zu erleben
  • … meist in Gedan­ken und nicht bei dem, was wir gera­de tun
  • … sehr abhän­gig von unse­rer Mit­welt oder sehr dar­auf bedacht, uns auf kei­nen Fall in irgend­ei­ne Abhän­gig­keit zu begeben
  • … leicht zu täu­schen, zu beein­flus­sen und zu mani­pu­lie­ren (beson­ders dann, wenn wir das nicht glau­ben) oder auch mit guten Argu­men­ten nur schwer zu über­zeu­gen und kaum offen für Veränderungen
  • … sehr miss­trau­isch oder leichtgläubig
  • … über­trie­ben pes­si­mis­tisch oder optimistisch
  • … sehr emp­find­lich, leicht reiz­bar, schnell ver­letz­lich, ängst­lich – oder kühl, unnah­bar und emotionslos
  • … sehr pas­siv und vor­sich­tig oder stän­dig aktiv und unvor­sich­tig (und unfrei dar­in, weil wir das jeweils ande­re kaum aushalten)
  • … viel urtei­lend (uns selbst oder unse­rer Mit­welt gegen­über) oder ohne das Ver­tre­ten eige­ner Standpunkte
  • … häu­fig in einer Opfer- oder Täterrolle
  • … über­trie­ben nett, zuvor­kom­mend und ent­schul­di­gend oder mür­risch, ego­is­tisch, unsensibel
  • … unaus­ge­wo­gen sicher­heits- oder freiheitsbedürftig
  • Es fällt uns schwer, Mit­ge­fühl und Empa­thie zu emp­fin­den, beson­ders wenn wir etwas nicht ver­ste­hen oder ablehnen
  • … uns ver­letz­lich zu zei­gen oder ein­fühl­sam der Ver­letz­lich­keit ande­rer Raum zu geben
  • … tie­fe­re und län­ger anhal­ten­de Bezie­hun­gen auf­zu­bau­en oder toxi­sche Bezie­hun­gen zu ver­las­sen, die sich nicht weiterentwickeln
  • … in unan­ge­neh­men Situa­tio­nen da zu blei­ben oder sie zu ver­las­sen, wenn sie unse­re Gren­zen überschreiten
  • … Ja oder Nein zu sagen, Gren­zen zu zei­gen oder unse­re Kom­fort­zo­ne zu verlassen
  • … Ent­schei­dun­gen zu tref­fen oder Feh­ler zu machen
  • … Dank­bar­keit zu emp­fin­den oder wohl­wol­len­de Kri­tik zu äußern
  • … Kri­tik oder Dank­bar­keit anzunehmen
  • … unser Bedau­ern aus­zu­drü­cken oder wir ent­schul­di­gen uns aus nich­tigs­ten Gründen
  • … etwas zu ver­än­dern, was uns selbst oder unse­rer Mit­welt nicht guttut

 

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